Lesestoff

Transformation oder die Poesie des Augenblicks

Transformation – auch Wandel, Umwandlung, Gestaltwandel, Metamorphose genannt – ist ein Wachstumsprozess, den alles Lebendige durchläuft, um nach der Zeit der Blüte, Frucht oder vollkommenen Gestalt „zurückzuwachsen“ in das Nicht-Manifeste.  Weiterlesen

Der Text erschien am 23. August 2023 in Sein.

 

Freude

Von Karin Petersen 

Freude schöner Götterfunken“,  beginnt Schiller seine Ode an die Freude.

So ein (Götter) Funken hat das Potential, Freudenfeuer zu entfachen, die sich zum Flächenbrand auswachsen können. 

Ob bewusst oder unwissentlich daran anknüpfend, nennt die moderne Glücksforschung Augenblicke, die starke Glücksgefühle auslösen,  „Glimmer“, und  ist damit vom  Schillerschen Götterfunken gar nicht so weit entfernt. Solche Glimmermomente „laden uns ein, unsere Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken, die schön, angenehm oder sozial verbindend sind.“  (Ling Lam, Psychotherapeut und Autor)

Ob das Singen im Chor, der Gang durch einen Sommergarten, ein Gedicht,  laut gelesen oder still rezitiert,  das Wiedersehen mit einem geliebten Menschen oder   das wohlige Strömen der Lebenslust im eigenen Körper beim stillen  Sitzen -  Freude ist verbunden mit der Erweiterung meines  kleinen und oft engen Ich. 

Wie kein anderes Gefühl lässt Freude mich über mich selbst hinauswachsen.  Was mich erfreut, bereichert mich, inspiriert mich, neue Schritte zu wagen, lässt mich ahnen, dass  ich mehr bin und vermag als dieses kleine Ich  mit seiner chronischen Unzufriedenheit. Freude  will die ganze Welt umarmen, will die Erweiterung, die sie ist, an andere weitergeben, und dieses Geben wiederum lässt meine Freude zu deiner werden. Der Funke fliegt über. Freude ist ansteckend. Was mich freut, erreicht über mein Sein und Tun,  meine Worte und selbst meine Stille Menschen und andere Lebewesen. Das ist sehr beglückend, erlöst es mich doch von der schmerzlichen Illusion der  Getrenntheit. 

Ich freue mich, das ist des Lebens Sinn/ich freue mich vor allem, dass ich bin“, heißt es in einem Gedicht von Mascha Kaléko,  entstanden in einer Zeit, wo sich der Faschismus am Horizont abzeichnete und sie, wohl wissend, dass sie zu den Gefährdeten gehörte, rechtzeitigt  ins Exil flüchtete. 

Angesichts der scheinbaren Übermacht destruktiver Kräfte, die das menschliche Tun auf diesem Planeten steuern, müssen wir dieser etwas entgegensetzen  –  ein kreatives, aufbauendes, liebevolles, beglückendes und ja, auch humorvolles – kurz: ein  freudiges Tun. 

Wenn wir keine Freude mehr verspüren, wenn wir dieses Gefühl ertränken in alltäglicher Pflichterfüllung, kann es sich gegen uns wenden. Oft spüren wir diese Dynamik als nagende Unzufriedenheit, die sich zu dem Gefühl auswachsen kann, dass wir am Leben vorbeigehen und nichts von alledem, was wir tagtäglich tun und leisten, uns wirklich zufrieden, geschweige denn glücklich macht. Das zunehmende Empfinden, dass in unserem Leben etwas Grundlegendes fehlt, kann sich steigern bis zur Selbstzerstörung. 

"Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt", heißt es bei Schiller.  Das  zweckfreie „Spiel“, wie er es versteht, schenkt uns  Freude. Spiel und Freude sind kein überflüssiger Luxus oder entbehrlicher Freizeitspaß,  Kindern vorbehalten, bis der „Ernst des Lebens“ beginnt. Freude macht uns zum ganzen Menschen, ist Seelennahrung. 
Wir brauchen dieses Gefühl  ganz existenziell, weil es  uns in unseren  besten Eigenschaften bestärkt: Mitgefühl, Dankbarkeit, Humor, das Wissen um die Verbundenheit allen Lebens, der Mut zum Nichtwissen, Kreativität, Staunen und Demut. 

Also, betreten wir es, „das himmlische Heiligtum“,  in das Freude uns einlädt. Machen wir „Ferien vom Ich“  und seiner permanenten Frage nach der Effizienz  von allem, was wir tun  (und lassen!). 

Los geht’s:   - aus  Jux und Dollerei  –  ob mit Tanzen oder Singen, Gärtnern oder Gedichte schreiben.  Oder stillvergnügt vor mich hinsummen und dem Busfahrer ein Lächeln schenken , ohne daran zu denken, wie wichtig  das alles für meine „seelische Balance“ ist und  wie es mir hilft, mein Leben zu „meistern“, mir neuen Elan gibt für das Wichtige, das Eigentliche… Nein, einfach so, ohne nach Gewinn und Sinn zu fragen. Gar nicht so einfach  - oder? 

Foto: Pexels auf Pixabay
 

© Karin Petersen. Alle Rechte vorbehalten. 

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